Elisabeth aus Monheim (am Rhein zwischen Köln u. Düsseldorf) 

 

Loki, das Rabenaas  (November 2002)

Ich möchte hier mal eine Geiergeschichte der anderen Art erzählen. In unserem Falle war es nicht so, daß wir uns nach reiflicher Überlegung entschlossen haben, einen Vogel in unsere Familie aufzunehmen. Unser Geier saß eines Tages buchstäblich vor unserer Haustür und bat um Einlaß. Unser Geier ist auch nicht so schön bunt wie die übrigen hier vorgestellten und hat auch keinen krummen Schnabel. Er ist schwarz mit blauem Schimmer auf dem Rücken, Hinterkopf und Nacken sind grau und er hat wunderschöne hellblaue Augen.

Denn unser Geier ist eine Dohle. Die Dohle gehört zur Familie der Rabenvögel. Dohlen sind etwa taubengroß. Sie brüten gerne in alten Kirchtürmen und Kaminen. Außerhalb der Ortschaften sind sie als Höhlenbrüter auf ausgefaulte Bäume und Felslöcher angewiesen. Sie treten gerne in Schwärmen auf. 

Seit einigen Jahren brütet im stillgelegten Kamin eines Nachbarhauses ein Dohlenpaar. Bereits im letzten Jahr landete eines der Küken in unserem Garten und wurde von den Eltern nicht versorgt. Dieses Vogelkind haben wir schweren Herzens an eine Frau weitergegeben, die sich auf die Aufzucht von verwaisten Wildvögeln spezialisiert hat. Wir hätten die Aufzucht sehr gerne selbst übernommen, aber unser Sommerurlaub stand bevor und den Vogel konnten wir schlecht so wie unsere übrigen Tiere mitnehmen.

 

Im Juni diesen Jahres saß dann eines Morgens erneut ein Dohlenbaby direkt vor unserer Haustür. Wiederum kümmerten sich die Dohleneltern auch nach Stunden nicht um das Kleine. Da inzwischen die Katzen der Nachbarschaft ihre Kreise schon enger zogen, haben wir den Vogel dann ins Haus geholt und zunächst in einem nicht genutzten Kaninchenkäfig untergebracht. Unser Sohn, der gerade seine Zivildienstzeit beendet hatte und deshalb den ganzen Tag Zeit hatte, übernahm von Anfang an den größten Teil der Aufzuchtarbeiten. Nach kurzer Überlegung nannte er den Vogel "Loki".

In den ersten Wochen verlangt so ein Dohlenkind mindestens stündlich Futter. Und zwar auf genau die Art, wie es auch bei den Eltern um Futter betteln würde. Es sitzt da, schlägt mit den Flügeln, reißt den Schnabel weit auf und stößt ein recht lautes Krächzen aus. In den ersten Wochen haben wir ihn fast ausschließlich mit Katzenfutter ernährt, daß dann buchstäblich bis in den Hals geschoben werden muß, damit es geschluckt wird. Das alles ist aber nicht sehr schwierig, da das Vogelkind ganz prima mitspielt und sehr schnell total zutraulich wird.

Ansonsten kann sich das Zusammenleben mit einem Dohlenvogel recht anstrengend gestalten. Wir haben extra einen Papageienkäfig für ihn gekauft. Aber so eine Dohle ist ein lebhafter und an allem interessierter Vogel, der anderes im Sinn hat, als dumm im Käfig herumzusitzen. Er möchte beschäftigt werden, und das von morgens bis abends. Zum Glück hatte unser Sohn zwischen Zivildienst und Studium einige Monate frei und konnte sich so voll und ganz seinem "Baby" widmen. Vom ersten Tag an konnte er mit ihm auch in den Garten gehen, ohne Gefahr zu laufen, daß sich der Vogel davon machen würde. Er entfernte sich zwar mal ein paar Meter, und als er besser fliegen konnte auch schon mal bis in einen Baum, aber auf das Rufen unseres Sohnes hin kam er immer sofort zurück und landete auf seinem ausgestreckten Arm oder auf der Schulter. Er genoß es im Bachlauf unseres Teiches zu baden und sich dann anschließend auf Michaels Schulter gründlich zu schütteln. So hatte der dann auch gleich seine Dusche. 

 

 

Seit es draußen kälter geworden ist, läßt Michael Loki lieber ab und zu in unserer Dusche baden. Das ergibt jedesmal ein ziemliche Überschwemmung im ganzen Badezimmer.

 

 

 

Inzwischen ist der Vogel so gut wie ausgewachsen und sollte eigentlich längst ausgewildert sein. Das scheint aber nicht so ganz zu gelingen. Unser Sohn, der inzwischen der einzige ist, der Loki anfassen darf und auf dessen Hand er kommt, hat jetzt sein Studium begonnen. Das bedeutet, daß er nun viel weniger Zeit für Loki hat. Er macht es jetzt so, daß er den Vogel morgens, nachdem dieser sein Frühstück vertilgt hat (zur Zeit am liebsten Mandelstuten mit viel Butter), mitsamt seinem Käfig auf den Balkon fährt. Vorher hatte Michael ihn immer im Garten freigelassen und das bedeutete, daß er auch nur auf sein Rufen hin zurückkam und dann auf seiner Hand landete.

Die Sache mit dem Balkon hat sich als sehr günstig erwiesen. Der Vogel hat blitzschnell begriffen, daß er nun dorthin kommen muß, wenn er tagsüber irgendwelche Wünsche hat. Und er kommt nun auch, wenn Michael nicht zuhause ist. Futter und Wasser sind immer im Käfig vorhanden. Während der Sommermonate stand auch eine kleine Wanne mit Wasser auf der Fensterbank zum Baden. Meistens kommt er nun über den Tag verteilt ca. 3-4 mal, um etwas zu fressen. Oft klopft er dann auch mit dem Schnabel gegen die Fensterscheibe und versucht jemanden von uns auf sich aufmerksam zu machen. 

 

 

Am meisten freut er sich natürlich, wenn er unseren Sohn entdeckt, aber auch von den anderen Familienmitgliedern nimmt er gerne mal zwischendurch einen Leckerbissen wie z.B. eine Erdnuss oder ein Stückchen Käse entgegen.

 

 

 

 

Manchmal springt unser Kater auf die Fensterbank, um den Vogel zu beobachten. Dann läuft Loki provozierend vor der Scheibe auf und ab. Er hackt gegen die Scheibe Richtung Kater und hat ganz offensichtlich großes Vergnügen daran, ihn zu ärgern. Auch innerhalb des Hauses hat er vor unserem Kater, den er ja von klein auf kennt, keinerlei Angst. Im Gegenteil, er hat ihn schon öfter mal blitzschnell gezwickt. Wir haben uns schon Sorgen gemacht, daß Loki auch draußen vielleicht zuwenig Respekt vor Katzen haben könnte und dadurch dann in Gefahr gerät. Seit ca. 1 Woche haben wir nun eine zweite Katze. Ein Baby von gerade mal 3 Monaten. Also bedeutend kleiner als unser 6,5 kg Prachtkater. Trotzdem hat Loki vor dem kleinen Kater panische Angst. Dann ist anzunehmen, daß er sich an die Katzen draußen auch nicht heranwagen würde.

Die meiste Zeit des Tages sitzt Loki in einen der umstehenden Bäume und unterhält die Nachbarschaft mit ziemlich lautem Gekrächze und Geschnattere. Ich kann mir gut vorstellen, daß er damit so manch einem ordentlich auf den Keks geht, denn er ist nicht nur laut, sondern auch sehr ausdauernd bei seinem "Gesang". Es sind auch sehr seltsame Töne darunter. Uns ist aufgefallen, daß er versucht, sowohl das Quieken unserer Meerschweine als auch das Miauen des Katers nachzuahmen. Seine Artgenossen werden sich sicherlich über diese Fremdsprachen wundern.

 

Jeden Abend vor Einbruch der Dunkelheit kehrt Loki dann freiwillig in seinen Käfig zurück und läßt sich wieder in die Wohnung zurückfahren . Solange der Käfig in einem beleuchteten Raum steht, gibt er dann aber keine Ruhe, sondern möchte noch beschäftigt werden und spielen. Und das möglichst außerhalb des Käfigs. Besonders gerne sitzt er auf unserem Aquarium. Dorthin rettet er auch alles, was er irgendwie in der Wohnung stibitzt hat. Wie die meisten Rabenvögel liebt er glitzernde Sachen. Auf dem Aquarium stehen einige Keramik-Figuren. Dahinter versteckt er gerne mal seine "Schätze". Allerdings nur, wenn er denkt, daß ihn niemand beobachtet. Viel Spaß hat er an buntbedrucktem Papier. Das wird mit Hingabe zerzupft und seltsamerweise immer mal wieder im Wassernapf eingeweicht. Oder auch einfach nur herumgetragen. 

Eine besondere Vorliebe hat er für Schlüssel. Wenn wir seinen Käfig versehentlich zu nahe an einen Schrank heranfahren, dann sitzt er obenauf und fummelt so lange an den Schlüsseln, bis er sie herausziehen kann. Er schafft es auch irgendwie, sie in die richtige Position zu drehen. Manchmal fliegt er denn mit dem Schlüssel im Schnabel los und läßt ihn irgendwo fallen. Einmal hab ich zufällig einen dieser Schlüssel mitten in einer Topfpflanze wiedergefunden. Manchmal sammelt er auch draußen Sachen ein die ihm gefallen und bringt sie zum Käfig. Dort deponiert er sie im Futternapf und holt sie dann abends zum Spielen wieder hervor. Wenn wir ihm mal einen Leckerbissen geben und er hat gerade keinen Hunger, so bringt er diesen auch oft zum Futternapf und lagert ihn für später. Gibt man ihm ein Stück Brot und es ist ihm zu hart, so steckt er es in den Wassernapf und weicht es erstmal ein.

Insgesamt macht es sehr viel Spaß, diesen intelligenten, gelehrigen aber auch sehr frechen Vogel um sich zu haben. Trotzdem wäre es auf Dauer natürlich wünschenswert, wenn er es schaffen würde, sich wieder seinen Artgenossen anzuschließen und sein weiteres Leben ganz in Freiheit zu führen. Seltsamerweise verschwindet der ganze Dohlenschwarm immer kurz nach Ende der Brutzeit aus unserer Gegend. So ab Mitte September kehren Sie dann zurück. Das ist die Zeit, in der in unserem Garten die ersten Walnüsse reif werden. Zusammen mit etlichen Elstern machen sich dann die Dohlen über die Nüsse her. Sie fummeln sie aus den grünen Schalen heraus, fliegen auf unser Dach und fangen dann an, sie mit dem Schnabel aufzuhämmern. Das ganze passiert nicht gerade leise und im ersten Jahr habe ich allen Ernstes angenommen, daß dort Handwerker auf dem Dach bei der Arbeit wären. Unsere Hoffnung ist nun, daß sich Loki wieder in diesen Dohlenschwarm, der ja seine leibliche Familie ist, einfügt. Bisher beobachten wir, daß er versucht, sich immer näher an die anderen heranzupirschen und auch mal eine Runde mit ihnen umherfliegt. Wahrscheinlich verhält er sich in den Augen der anderen Vögel manchmal einfach zu seltsam. Unsere Tierärztin meint, die beste Chance auf Auswilderung hätten wir, wenn Loki geschlechtsreif wird und sich eine Partnerin (oder Partner) sucht. Wobei es dann allerdings auch passieren könnte, daß dann eines Tages plötzlich 2 Dohlen im Käfig hocken und um Futter bitten.

Bisher ist jedenfalls der Ausgang dieser "Geiergeschichte" noch völlig offen und wird dann gegebenenfalls später nochmals ergänzt.

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